.sechsunddreißig.

Mein Leben mit dem Leben.

Es ist nicht leicht zu leben, wenn der größte Wunsch der ist, nicht mehr leben zu müssen. Immer wieder verspüre ich diesen Wunsch. Jeden Tag, jede Stunde.

Er ist auch verbunden mit einem Gefühl der unendlichen Überforderung. Die Überforderung zu leben.

Doch was überfordert mich denn?

Er ist verbunden mit einem Gefühl von unendlicher Einsamkeit.

Mit einem Gefühl, nirgendwo dazuzugehören.

Mit einem Gefühl und einer Sehnsucht nach Befreiung von meinem Leiden. Und da ich mein Leiden als mir immanent als Person wahrnehme, ist der einzige Weg, der sich mir eröffnet, der aus dem Leben zu gehen.

Aus einem Leben, in dem ich nie war.

Denn ich gehöre nicht dazu. Ich sehe mich wie eine Zuschauerin in einem Film. Ich bin nicht nur die einzige Zuschauerin. Ich bin auch noch irgendwie mitten im Film in den falschen Kinosaal gegangen, und habe absolut keine Ahnung, was da abläuft.

Dennoch versuche ich verzweifelt zu verstehen. Versuche verzweifelt dazuzugehören. Teil des Films zu werden. Ich stehe auf, gehe zur Leinwand. Versuche sie aufzureißen, um irgendwie zu allen anderen zu kommen. Doch hinter der Leinwand ist nichts.

Der Film läuft bereits, er ist gedreht. Ich bin am falschen Ort, um noch Teil des Films, Teil des Lebens zu werden. Ich bin zu spät.

Ich betrachte die Menschen, ihre Leben, ihre Welt. Und es ist nicht meine. Doch ich kann auch nicht alleine mein Leben leben, da ich diese unvorstellbare Einsamkeit nicht ertrage.

Sie frisst mich auf. Bei jedem Atemzug breitet sie sich weiter in mir aus.

Ich versuche dennoch irgendwie ins Leben einzusteigen, versuche Nähe zu erfahren, Liebe. Getrieben von der Angst allein zu sein. Von der Angst vor der Einsamkeit.

Doch genau diese Angst schnürt mich ein. Schnürt mich in allem ein, was ich tue. Jedes Wort, das ich sage, jede Tat, die ich vollbringe, jedes Bild, das ich bei anderen erzeuge, ja sogar jeder Gedanke, ist sorgfältig darauf ausgerichtet nicht abgewiesen zu werden. Ständig denke ich darüber nach, was von mir erwartet wird. Und danach handele, denke, rede ich dann. All das ist geprägt von der Angst, man könnte böse auf mich sein.

Denn wenn man böse auf mich ist, mag man mich nicht mehr und lässt mich allein.

Diese Angst ist auch das einzige, was mich bisher darin gehindert hat, den Versuch zu leben aufzugeben.

Denn ich musste es versprechen, und auch bei  den Menschen, denen ich es nicht versprochen habe, habe ich die Angst, sie würden böse sein auf mich, wenn ich es doch tue.

Nun lebe ich also doch noch. Aber wie?

Ich halte die Zeit, die ich allein bin aus. Warte auf den Moment, an dem ich nicht alleine bin. Wenn er da ist, kann ich auch ihn nicht genießen, weil ich währenddessen ständig Angst habe davor, dass er bald vorbei ist und ich ihn  nicht bestmöglich genutzt habe.

Wenn ich allein bin, verliere ich jegliche Struktur, jegliche Ordnung. Innerlich wie auch äußerlich. Ich verliere den Halt. Ich trudele durch die Leere.

Meine Gedanken kreisen. Sie jagen sich durch meinen Kopf und reißen mich hinab in einen Strudel der Angst und Traurigkeit.

Die meiste Zeit liege ich. Im Bett, auf dem Sofa, auf dem Boden. Irgendwie gibt das etwas Halt. Es macht es aber noch viel schwerer. Ich schaffe es nicht mehr aufzustehen. Liege stundenlang da mit dem Wunsch aufzustehen. Doch dieser Wunsch kommt nicht aus mir. Ich denke, ich müsste.

Was mich meistens doch wieder zum Aufstehen bringt ist die Angst, man könnte böse auf mich sein.

Man könnte böse auf mich sein, dass ich zu spät zu einem Termin komme zum Beispiel.

Ich bin also aufgestanden. Fühle mich eigentlich ganz gut nun. Ich mache tausend Pläne, was ich erledigen möchte, in der Ahnung, nichts davon auch nur zu beginnen.

Irgendwann übermannt mich eine tiefe Traurigkeit, deren Ursprung ich nicht kenne. Er liegt zu tief. Sie kommt ohne Anlass aus heiterem Himmel. Doch sie ist nur in mir. Ich kann sie nicht nach außen tragen. Kann nicht weinen, kann sie nicht beschreiben, kann sie nicht ausdrücken. Nur fühlen. Nur erleiden.

Sie dominiert alles. Meine Gedanken sind traurig.  Alles was ich sehe, höre, fühle. Ich vergesse, dass diese Traurigkeit jemals nicht da war, vergesse, dass sie wieder weggeht.

Doch auf einmal ist sie vorbei. Alles fällt von mir ab. Wie ein schwerer Rucksack, dessen Last ich vergessen habe, weil ich ihn schon zu lange getragen habe, um mich noch zu erinnern, wie es sich ohne ihn anfühlt.

Erst jetzt merke ich, wie schwer es war. Ich fühle mich frei. Ich kann wieder frei denken. Ich kann mich wieder bewegen. Als wäre ich die ganze Zeit in knietiefem Schlamm gewatet und könnte nun wieder frei rennen.

Ich lebe weiter. Halte aus. Ertrage.

Doch nun übermannt mich die andere Seite.

Ich verspüre eine unglaubliche Energie. Mein Antrieb ist extrem hoch. Ich kann rennen, ich renne. Ich will handeln, will machen, will tun. Ich will tanzen tage und nächtelang.

Ich spüre wie sich alles in mir beschleunigt und die Welt immer langsamer wird. Meine Gedanken sind immer schneller. Ich rede schneller. Meine Augen bewegen sich viel schneller. Meine Bewegungen wirken unruhig und hektisch. Doch für mich sind sie komplett ruhig und kontrolliert. Nur alles um mich herum ist so unvorstellbar langsam.

Ich bekomme das Gefühl fliegen zu können, zu schweben. Ich will auf einer Bühne stehen. Will bewundert werden. Ja, vergöttert. Ich fühle mich nicht göttlich. Ich fühle mich viel mehr als das. Größer, mächtiger als jede*r Gött*in es je sein könnte. Ich stehe über allem. Ich bin nicht nur besser als jedes Lebewesen, das denkbar ist, ich bin nicht nur das Beste im ganzen Universum. Ich bin auch noch gut. Bin Perfekt.

Ich kann alles. Ich bin alles.

Ich könnte einfach nur dastehen und mich im Spiegel bewundern.

Doch auch das geht vorbei.

Ich verspüre die Ernüchterung. Woher kam die Energie? Ich bin leer. Bin traurig. Einsam.

Ich lebe wieder weiter. Weiter bis zum nächsten Tief. Bis zum nächsten Hoch.

Zwischendurch ergreift mich die Angst, auch sie kommt aus dem Nichts. Ergreift mich, umfasst mich total. Sie verwandelt sich und wird zur Panik. Noch weiß ich nicht wovor. Doch die Panik hilft mir. Sie zeigt mir wovor.

Vor Allem

Alles was ich sehe, alles woran ich denke, alles was ich höre, alles was ich fühle. Alles macht mir Angst. Es ist eine existenzielle Angst.

Ich will weg, aus mir heraus. Will wegrennen. Will in den Boden zerfließen. Will überall sein, nur nicht hier. Doch jeder Ort der mit einfällt ist noch schlimmer.

Nichts kann mich beruhigen, nichts ablenken. Nicht einmal der eine, ansonsten präsente, Ausweg.

Langsam verabschiedet sich die Angst wieder und lässt mich ausgelaugt zurück. Lässt mich weiter leben. Weiter aushalten.

Jeder dieser Überfälle befördert meine Verzweiflung, mein Gefühl von Hilflosigkeit. Ich bin ihnen schutzlos ausgeliefert. Bin allein.

Ich spüre, wie sich eine Schlinge um meinen Hals legt. Wie gut sich das anfühlt. Sie befreit mich, sie zieht sich zu. Zieht mich hoch. Befreit mich von der Angst, der Einsamkeit,  der Überforderung.

Aber ich darf nicht. Ich halte weiter aus. Doch meine Sehnsucht zieht sich weiter dorthin. Zu der Brücke, zu der Autobahn, zu den Gleisen, zu dem Draht, zum Dach, zu der Pistole, zum Messer, zur Klinge, zu den Tabletten, zum Bett.

Und immer mit einem wohligen Gefühl von Befreiung.

Doch ich gebe dem Drang nicht nach. Nicht aus Einsicht, sondern aus Angst.

Also lebe ich weiter, halte aus, ertrage.

Ertrage die unglaubliche Langeweile. Ich spüre nichts. Alles ist gedämpft. Alles ist langweilig. Nur der Schmerz, das Adrenalin, die Spannung zeigen mir, dass ich noch lebe.

Ich spüre Kälte und genieße sie, spüre Hitze und genieße sie, spüre Schmerz und genieße ihn. Er zeigt mir etwas Intensives. Das Intensive fehlt mir. Alles andere ist belanglos.

Ich suche die Angst. Die reale Angst. Nicht die Angst, die mich immer wieder überfällt. Die Angst vor Gefahr. Die Angst umgebracht zu werden, die Angst zu sterben.

Sie gibt mir das schönste Gefühl. Das Gefühl leben zu wollen. Das Gefühl, mich zu spüren, sie durchdringt meine meterdicke Dämpfung, die jede Freude, jede reale Angst, jede reale Traurigkeit, jedes Mitgefühl erstickt.

Nur so bin ich wirklich da. Doch diese Momente sind zu kurz. Zu schnell vorbei.

Wieder langweilt mich alles. Ich hoffe immer wieder auf Eskalation. Gefühlsausbrüche, Katastrophen. Unglücke. Desaster. Kriege. Tode. Horror in der Welt.

Daran kann ich mich erfreuen. Fühle mich unterhalten.

Ich empfinde kein Mitgefühl dabei. Ich empfinde nie Mitgefühl dabei. Ich zeige höchstens Mitgefühl aus der Angst, man könnte mir böse sein, wenn ich es nicht tue.

Doch ich fühle es nicht. Ich weiß natürlich, dass All diese schrecklichen Dinge nichts positives in sich haben. Und doch erfreuen sie mich und unterhalten mich.

All diese Gewalt und Kriege, all das Töten, das Streiten das Morden, verstößt gegen meine innersten Prinzipien. Gegen meinen Wunsch nach Frieden und Anarchie.

Und doch empfinde ich positive Gefühle, wenn ich sie wahrnehme. Keine Wut , kein Mitgefühl, keine Trauer.

Je mehr mir all das klar wird, desto klarer wird mir, dass ich anders sein muss. Dass ich auch deshalb immer allein sein werde, dass meine mich zerfressende Sehnsucht nach Zuneigung, nach Nähe, nach Intimität auf ewig unbefriedigt bleiben wird. Dass ich ewig einsam bleiben werde.

Dass ich nie Teil des Lebens werden kann. Ich bin auf ewig eine Zuschauerin. Kein Teil des Films. Und es liegt in meiner Natur.

Diese Gewissheit tötet mich.

Mit dieser Gewissheit muss ich dennoch leben.

Solange die Angst stärker ist.

Doch wird irgendwann die Angst zu schwach sein?

Ich weiß es nicht.

Werde ich irgendwann einen anderen Grund haben, der mich davon abhält, zu gehen?

Auch das weiß ich nicht.

Also lebe ich weiter. Halte aus. Ertrage.

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Ein Gedanke zu “.sechsunddreißig.

  1. Ein sehr trauriger Artikel und ich wünschte mir, ich würde Dir jetzt gegenübersitzen. Mir fehlen die Worte die ich Dir schreiben möchte. Eine Umarmung würde besser passen. Pass gut auf Dich auf.
    Ulrike

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